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Im Dorf angekommen

 

Langsam wurde mir trotz – vielleicht auch wegen – der Freundlichkeit der mich umsitzenden Damen doch heiß und so war ich froh, als sich meine Frau dann doch noch einfand, zusammen mit dem Fahrer. Er wird noch eine große Rolle für mich spielen, war er doch der Herr über den gesamten motorisierten Fuhrpark des Dorfes. Die Dorfbewohnerinnen hatten also ihre Ware weitgehend verkauft, die Städterinnen demgemäß ihr Mittagessen beisammen, und so konnte der Heimweg beginnen. Der erste Teil eines harten Arbeitstages war beendet, fast Mittagszeit. Langsam, als überlege es noch, setzt sich das Gefährt in Bewegung. Es ächzt und stöhnt dabei, eine riesige schwarze Auspuffwolke begleitet uns noch eine Weile, bringt die Augen zum Tränen und den Hals zum Husten. Nicht nur mir geht es so, auch meinen Nachbarinnen. Ich wage es nicht, meiner Frau Vorwürfe zu machen ob meiner Einsamkeit zu Beginn. Es wäre auch kaum machbar gewesen, denn während ich mich auf der Ladefläche schmal machen mußte hatte sie vorne neben dem Fahrer Platz genommen.
Roi Et macht auf mich gar keinen Eindruck, nicht mal einen schlechten. Was ich von meinem Platz aus sehen kann sind Roi Etkleine, wie geduckt wirkende Häuser, höchstens zwei Stockwerke hoch. Aber in jedem Haus scheint auch ein Geschäft zu sein. Die langsame Fahrt läßt mich deutlich erkennen, was hier unter Geschäft zu verstehen ist. Im Erdgeschoss befinden sich größere Räume, die nach der Straße hin offen sind, davor wird Ware ausgelegt oder aufgehängt, hier und da kann man bis an die Hinterwand schauen. Wenig Leute sind unterwegs, aber es ist ja auch teuflisch heiß.

Bald haben wir den Stadtrand erreicht, die Häuser stehen jetzt vereinzelter. Die Straße kommt mir jetzt ein wenig bekannt vor, und als wir den Busbahnhof passieren weiß ich es genau. Auf dieser Straße hatte mich mein Rikschafahrer mühevoll transportiert, und jetzt kann ich erst ermessen, welche Arbeit er hat leisten müssen. Die Fahrt auf der Straße geht jetzt richtig flott voran. Trotzdem wird unser Auto ständig überholt, dabei wird

gehupt, dicht aufgefahren vorne, dicht aufgefahren hinten, dicht aufgefahren an den Seiten, aber niemanden regt das auf – außer mir. Ich sehe mich bereits mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus, weil wir im Straßengraben landen, sehe schlimme Unfälle passieren, schreiende Menschen um mich herum, meine Frau schaut mit großen Augen auf mich herab, plötzlich direkt vor mir ein Ozeandampfer.

Als ich aus meinem Schlaf hochschrecke sehe ich direkt hinter uns einen der Überlandbusse, und er hat mich wohl mit seiner durchdringende Hupe geweckt. Wieder sehe ich Menschen um mich herum, aber keiner schreit, alle lachen ob meiner verstörten Blicke. Ich muß diesen Leuten wirklich viel Spaß bereiten, denn bisher haben sie viel über mich und mit mir gelacht. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, denn ich trage keine Uhr am Arm, Die habe ich mir bei Abfahrt in Bangkok ausgezogen und in meine Umhängetasche gesteckt. Nicht weil ich Angst hatte, das gute Stück würde verloren gehen, sondern ich brauchte sie nicht, jetzt nicht, in den nächsten Tagen nicht. Warum überhaupt noch? Wir biegen von der Straße, die wohl nach Bangkok führen muß, ab und wechseln auf einen schmalen Weg. Die Frauen hatten sich schon alle Tücher über das Gesicht gezogen und der Sinn wurde mir schnell klar, als sich die Luft mit rotem Staub füllt, der sich schnell auf die Kleidung legt und auch die Haut bedeckt. Ich habe immer in meiner Umhängetasche ein Handtuch, jetzt wurde es zu meinem Staubschleier. Wer einmal das Buch „Lohn der Angst“ gelesen hat der weiß, daß eine Buckelpiste mit hoher Geschwindigkeit befahren werden muß, damit mitgeführtes Nitroglyzerin nicht explodiert. Seit dieser Fahrt glaube ich diesem Buch nicht mehr. Trotz relativ schneller Fahrt, nur unwesentlich langsamer als auf der Hauptstraße, spüre ich jedes Schlagloch, jede Vertiefung, jeden kleinen Stein. Auf einer solchen Strecke ist vielleicht einmal der Shake erfunden worden, als ein dürstender Mitfahrer mühsam ein hohes Glas mit Milch füllte um den Versuch des Trinkens zu unternehmen.

Wir passieren einen Torbogen, der sich quer über die Straße spannt, und die Fahrt des Autos verlangsamt sich. Erster Halt, und die ersten Frauen verlassen uns, nicht ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen, mich anzulächeln und mir einen Gruß zuzurufen. Sie gehen nach vorne zum Fahrer um den Fahrpreis zu bezahlen, laden sich die Körbe auf mit den nichtverkauften Resten ihrer Ware, stehen noch kurz zusammen, sicherlich um sich über den zusätzlichen Fahrgast heute noch einmal zu unterhalten und wenden sich ihrem weiteren Tagesablauf zu. Ein Ablauf der auch zu dem meinen werden sollte, aber das wußte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.