Unvergessliche allererste Fahrt nach Ban Nong Waeng
Der Umsteigepunkt und somit der Ort meines Kaffeegenusses war der Marktplatz, und gewaltige Düfte nach Gebratenem, Gesottenem und auch Undefinierbarem, sprich weithin Stinkendem, tat sich mir auf. Ach, tausend Nasen hätte ich haben müssen ! Irgendwie kam ein Gefühl auf von Romantik, der Selbstvergessenheit, des Glücklichseins: ich erlebe Thailand, wie es sonst kein Tourist erlebt. Dieses erfüllte mich mit Stolz, denn ich wußte es noch nicht besser.
Daß dies hier keine Romantik, sondern das harte Leben war, sollte ich erst viel später merken. Ich bin sicher, daß ich nicht der Einzige bin, bei dem dieser Gedanken aufkommt, wenn er einmal in der Provinz auftaucht und glaubt, nur jetzt könne er und nur er das wirkliche Thailand erleben. Nun gut, so ganz wußte ich nicht, was ich auf dem Markt soll, zumal mich All auf eben jenen LKW verludt, der schon sie transportiert hatte und jetzt am Rande des Marktes geparkt wurde. Ohne jede Erklärung waren unsere Koffer und ich alleinige Insassen des Fahrzeuges. Dieses verfügte auf der Ladefläche über zwei Sitzbänke.
Inzwischen war die Sonne aufgegangen und es wurde recht warm. Und so seit zwei Stunden ließ sich meine Frau schon nicht sehen. Ich stand zwischendurch auf, stieg auf die Straße hinab. Nur die Angst, nicht zurück zu finden oder daß der LKW irgendwie losfuhr und unseren Koffer mitnahm hielt mich ab, über den Markt zu schlendern. Nach und nach tauchten einzelne Frauen auf mit Körben auf der Schulter, gelegentlich ein Huhn oder ein Küken im Korb. Sie nahmen weitab von mir Platz und schnatterten aufeinander ein. Die verstohlenen Blicke wurden dabei immer häufiger, aber die thailändischen Worte für dick und weiß und Ausländer fielen nicht, zumindest konnte ich sie bei meinem damals spärlichen Wortschatz nicht ausmachen. Zu diesem Zeitpunkt war ich ja noch des Glaubens, diese Menschen sprächen Thai!
Ich machte ein möglichst gelangweiltes Gesicht und versuchte, mich an die Telefonnummer der Deutschen Botschaft in Bangkok zu erinnern. Ich wußte ja nicht, ob mich mein Weib hier verkaufen wollte. Zwar hatte ich noch nie von Vielmännerei in Thailand gehört, wußte aber auch nicht, ob unsere in Dänemark geschlossene Ehe auch in Thailand anerkannt sei. Und es fiel mir nichts, aber auch garnichts ein, mit dem ich hätte eine Verteidigung aufbauen können, und so ging ich zum Angriff über. Ich sah den Frauen einzeln ins Gesicht – und lächelte. Und zum dritten Mal an diesem Morgen ging die Sonne auf, man lächelte zurück, nickte mir freundlich zu – und sah sich einander an und kicherte und lachte, man wollte sich nicht mehr einkriegen. Eine alte Dame erklomm nun den LKW, spähte ein wenig umher und setzte sich forsch direkt neben mich. Einen großen Korb führte sie mit sich, gefüllt mit Obst, wie ich es bisher noch nicht gesehen hatte. Ihr Mund öffnete sich zu einem breiten Lächeln und zeigte tiefbraune und schwarze Zähne, dabei volle rote Lippen.
Sie beugte sich etwas vor und entließ ihrem Mund einen breiten Strahl rostbraunen Saftes, der zielsicher ohne das Holz zu benässen durch einen breiten Spalt im Fahrzeugboden nach unten schoss. Wieder sah sie mich an, ihre Augen strahlten und blitzen. Wenn ich je ein beeindruckendes Gesicht gesehen habe, das ich freundlich, ja gütig nennen kann, dann war es dieses Gesicht. Eher rund zu nennen, über einer hohen Stirn kurze weiße Haare, kleine Falten in den Augenwinkeln schaute sie zu mir auf. Ja, sogar im Sitzen war ich noch eine ganze Ecke größer als sie, die vielleicht einen Meter vierzig maß. Sie trug Goldschmuck, wenig, aber passend zu ihr. Nur ihr hätte dieser Schmuck gestanden. Es ging eine Würde von dieser Frau aus, die mich schnell eingefangen hatte. „He, Falang“ glaubte ich zu verstehen. Falang, das kannte ich doch. Ich schaute sie an. „He, Falang“. Ja, das kam aus ihrem Mund.
Es klang wohlwollend, ich konnte aus diesen Worten etwas heraushören. Willkommen etwa, wer bist du. Ihre Worte kamen einwandfrei aus ihrem Mund, jedoch so, als würde sie mit vollem Mund sprechen. Es sah auch so aus, als würde sie mit vollem Mund sprechen. Sie kramte in ihrem Korb, ihre Hand hielt ein Handtuch, das um eine kleine Dose gewickelt war. Vorsichtig öffnete sie beides, Handtuch und Dose und entnahm ein paar Kerne, die sie sich in den Mund stopfte. Klar, von Betelnuss hatte ich ja schon gehört und erinnerte mich, daß man davon schwarze Zähne bekam und viel spucken mußte. Unwillkürlich mußte ich lachen. Man schien das für ein Zeichen zu halten, denn die Hand bewegte sich auf mich zu und hielt mir einige Kerne hin. Ein Zeigefinger deutete nacheinander auf Kerne und mich und das bedeutet international, daß mir etwas angeboten wurde.
Ich hatte mal gehört, daß Eskimos jemanden umbringen, wenn der ein Gastgeschenk ablehnt. Würde man hier auch so weit gehen? Ich riskierte es, legte eine Hand auf meine Brust, zog mit der anderen meine Zigaretten hervor und bot meinerseits eine Zigarette an. Es folgte ein Heiterkeitsausbruch, den ich bis heute nicht vergessen habe, alle wurden angesteckt, man konnte sich garnicht beruhigen. Und plötzlich streckten sich Hände nach mir aus, die Bananen, Mangos, Litschis, Kekse und Leckereien enthielten. Falang, klang es, Falang war das einzige Wort, das für mich hörbar war, Falang war eine Melodie, Falang war eine Hymne. Kein Wort, kein einziges Wort konnte ich erkennen, aber ich verstand.
Man hieß mich willkommen. Ich war schon angekommen bei ihnen, denn der LKW war das einzige Auto des Dorfes, und es fuhr jeden Morgen zum Markt und brachte die Frauen und ihre Waren hin und die Frauen und ihre nicht verkauften Waren wieder ins Dorf zurück, in unser Dorf, in mein Dorf.
Nach Ban Nong Waeng.
Beginnt Ihr zu ahnen, was mich noch heute zu diesem Dorf zieht?